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Beitrag vom 30.03.2023
SIEBEN WINTER IN TEHERAN. Ein Film für die Freiheit
Tara Mortazavi
Die Dokumentation der Filmemacherin und Künstlerin Steffi Niederzoll über die Informatikstudentin Reyhaneh Jabbari und deren Mutter Shole Pakravan ("Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari") wurde auf der Berlinale 2023 mit dem Friedensfilmpreis und den Kompass-Perspektive-Preis ausgezeichnet. Ein bedeutender Beitrag für die Menschenrechte und den Freiheitskampf der Frauen im Iran.
SIEBEN WINTER IN TEHERAN (2023) erzählt die Geschichte der 19-jährigen Reyhaneh Jabbari. Die Studentin lebte mit ihrer Familie in Teheran, wo sie neben ihrem Studium als Innenarchitektin arbeitete. Am 7. Juli 2007 traf sie sich mit einem neuen Kunden, der sie mit dem Umbau seiner Arztpraxis beauftragen wollte. Der Mann lockte sie unter einem Vorwand in seine Wohnung, wo er versuchte sie zu vergewaltigen. Reyhaneh verteidigte sich und schaffte es zu entkommen, indem sie dem Mann mit einem Küchenmesser in den Rücken stach. Er starb wenig später und sie wurde noch am selben Abend wegen Mordes festgenommen. Der Gerichtsprozess wurde zugunsten seiner Familie manipuliert, da der Mann durch seine frühere Arbeit beim iranischen Geheimdienst gut innerhalb der Regierung vernetzt war. Reyhaneh wurde in einem Schauprozess nach dem islamischen Recht zum Tod durch sogenannte "Blutrache" verurteilt. Die Blutrache ist ein brutales Urteil, das durch eine Vergeltungstat die "Ehre des Opfers" wiederherstellen soll. Reyhaneh Jabbari wurde im Alter von 26 Jahren am 25. Oktober 2014 nach siebeneinhalb Jahren im Gefängnis in Teheran hingerichtet.
Der 38. Friedensfilmpreis für SIEBEN WINTER IN TEHERAN
Der Film eröffnete auf der 73. Berlinale 2023 die Sektion "Perspektive Deutschland Kino". Bei der Premiere waren unter anderem Reyhanehs Mutter, Shole Pakravan, und ihre beiden Schwestern anwesend, die auch in der Doku vertreten sind. Auf dem roten Teppich setzte die Familie und Mitwirkende an der Doku ein Zeichen, indem sie Schilder mit den Worten "Jin, Jiyan, Azadî" und "Woman, Life, Freedom" hochhielten.
SIEBEN WINTER IN TEHERAN wird als wichtiger Beitrag zum aktuellen Freiheitskampf der Frauen im Iran gefeiert. Zu Recht wurde die Dokumentation daher am 26. Februar 2023, kurz nach dem Debüt auf der Berlinale, mit dem 38. Friedensfilmpreis von der Heinrich-Böll-Stiftung ausgezeichnet. Der Preis wird jedes Jahr auf der Berlinale an einen Film vergeben, der friedenspolitische Inhalte "auf eine ästhetische Art und Weise" umsetzt. In der Begründung der Jury heißt es: "Der Film kritisiert sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Iran, das ´Recht auf Blutrache´ und die juristische Willkür. Er platziert sich jenseits des Begreifbaren und setzt die Erinnerung gegen das Vergessen. Dem Film gelingt es, durch die geschickte Montage von authentischem Material eine Nähe zur Figur zu schaffen und den Bogen zu aktuellen Protestbewegungen zu schlagen – nicht nur im Iran."
Die Regisseurin über den Film
Steffi Niederzoll entschloss sich 2016 den Film über das Schicksal der Studentin und den Schauprozess zu machen, nachdem sie einen Cousin von Shole Pakravan in der Türkei kennenlernte. Er zeigte ihr heimlich gedrehtes Videomaterial von dem Fall, welches er bei seiner Flucht aus dem Iran mitgenommen hatte. Steffi Niederzoll erinnert sich: "Ein Video hat mich besonders berührt: In diesem sitzt Shole in einem Auto vor dem Gefängnis und wartet darauf, ob ihre Tochter begnadigt oder hingerichtet wird. Dieser Moment voller Hoffnung und Erschöpfung hat sich bei mir eingebrannt."
Zur Bedeutung ihres Films für die aktuelle Situation im Iran erklärt Niederzoll: "Hier und heute lesen wir in den Zeitungen, dass gegen die Demonstrant:innen bereits 26 Todesurteile gesprochen wurden, wovon vier Demonstranten bereits hingerichtet wurden (Anm.d.Red.:Stand 9. Januar 2023). Ich hoffe, dass wir durch den Film nicht mehr einfach nur diese Zahlen lesen, sondern uns vorstellen, dass hinter diesen Zahlen menschliche Schicksale stecken, es dort auch eine Mutter wie Shole gibt, einen Vater wie Fereydoon und Geschwister wie Sharare und Shahrzad. Dass man durch den Film spürt, wie viel Leid hinter diesen Sätzen steht, wie viel Gewalt und wie viel Hoffnung. Ich hoffe, das motiviert uns, genauer hinzuschauen und zu verlangen, dass es unsere Regierungen auch tun."
Empathisch und bedrückend
SIEBEN WINTER IN TEHERAN liefert einen Einblick in Reyhanehs Gedanken und die Lebensrealität der Familie, die trotz der belastenden Situation ihren Alltag meistern musste. Er zeigt eine Reihe von Interviews mit Reyhanehs Eltern, den beiden Schwestern, ihrem Anwalt, Mitinsassinnen sowie Videoaufnahmen und Telefonaten, welche die Familie heimlich aufnahm und sich damit ebenfalls in Lebensgefahr begab.
Die bewegenden und hochemotionalen Telefonate zwischen Reyhaneh und ihrer Mutter übermitteln Gefühle von Trauer und Verzweiflung. Mit der Stimme von Zar Amir Ebrahimi (Beste Schauspielerin Cannes 2022 "Holy Spider"), die aus dem Off aus Reyhanehs Briefen und ihrem Tagebuch zwischen 2007 und 2014 vorliest, bekommt die Dokumentation eine weitere, sehr persönliche Note. Reyhanehs Weg zu einer Frau, die ihr Erwachsenenleben im Todestrakt verbrachte, macht traurig. Gleichzeitig bewundert die Zuschauerin die Courage dieser jungen Frau, die sich trotz der Gewalt, die sie erfuhr, nie hat einschüchtern lassen. Sie kämpfte dafür, dass ihre versuchte Vergewaltigung auch als solche benannt wurde und ließ sich trotz Erpressungen, Drohungen und Folter nicht davon abbringen. Steffi Niederzoll erzählt die Geschichte einer Frau, die für die Wahrheit ihr Leben geben musste.
SIEBEN WINTER IN TEHERAN leistet besonders in der aktuellen Lage im Iran einen wichtigen Beitrag für die Rechte der Frauen und zeigt auf, dass der Freiheitskampf schon seit Jahrzehnten gekämpft wird. In dem Gerichtsprozess wird klar, dass Männer durch das patriarchale System selbst nach ihrem Tod geschützt werden, während Frauen keine Chance bekommen, ihre eigenen Rechte zu verteidigen. Reyhaneh Jabbari hat bis zum Ende für die Wahrheit gekämpft. Auch nach ihrem Tod bleibt sie eine wichtige Aktivistin für die Rechte von Frauen im Iran.
Ihre Mutter führt ihre aktivistische Arbeit weiter. Shole Pakravan studierte an der Universität der Künste und der Universität für Kunst und Kultur in Teheran. Nach Beendigung ihres Masters in Regie, arbeitete sie 28 Jahre lang als Schauspielerin und leitete ein kollektives Kulturzentrum. Während Reyhanehs Inhaftierung und auch nach ihrer Ermordung setzte sie sich für Menschenrechte und gegen die Todesstrafe ein. Sie floh 2017 mit ihren beiden Töchtern nach Deutschland, da ihr durch ihre aktivistische Arbeit im Iran die Inhaftierung drohte. Gemeinsam mit Steffi Niederzoll schrieb sie das Buch "Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari", welches am 26. Januar 2023 im Berlin Verlag erschien. Über die Dokumentation sagt sie: "Es ist ein Film über Menschenrechte und ich hoffe, dass er etwas verändern kann. Die meisten westlichen Menschen können nicht verstehen, was passiert, wenn die Todesstrafe vollstreckt wird. Was sie mit den betroffenen Familien macht. Es wäre großartig, wenn mit mehr Verständnis mehr Druck auf die iranische Regierung ausgeübt würde. Jeder einzelne Strang, der vermieden werden kann, ist ein Erfolg."
AVIVA-Tipp: Steffi Niederzoll zeigt mit ihrer Doku SIEBEN WINTER IN TEHERAN einen persönlichen Einblick in die Situation der Frauen und deren Familien im Iran, die trotz eines aussichtslosen Schauprozesses unerschrocken und furchtlos für die Wahrheit und Freiheit kämpfen. Dieser Film geht unter die Haut.
SIEBEN WINTER IN TEHERAN
Deutschland/Frankreich 2023
Buch & Regie: Steffi Niederzoll
Sprachen: Farsi, Deutsch
Mit: mit Reyhaneh Jabbari, Shole Pakravan, Fereydoon Jabbari, Shahrzad Jabbari, Sharare Jabbari
Musik: Flemming Nordkrog
Kamera: Julia Daschner
Ton: César Fernández Borrás
Produktion: MADE IN GERMANY, Gloria Films Production, TS Productions und WDR
Vertrieb: Cercamon Docs
Zur Regisseurin: Steffi Niederzoll wurde 1981 in Nürnberg geboren. Sie studierte von 2001-2007 audiovisuelle Medien an der Kunsthochschule für Medien Köln und der Escuela de Cine y Television in Kuba. Ihre Kurzfilme liefen erfolgreich auf zahlreichen renommierten nationalen und internationalen Filmfestivals wie der Berlinale. Sie nahm an verschiedenen Regie-Masterclasses teil und war Stipendiatin der Kulturakademie Tarabya, Türkei. Neben ihrer filmischen Tätigkeit beschäftigt sie sich auch mit interdisziplinären künstlerischen Arbeiten. Sie war Mitglied der Kerngruppe des Kollektivs "1000 Gestalten", das während des G20-Gipfels in Hamburg im Jahr 2017 mit seiner Performance weltweit für Furore sorgte. Ihre kollektiven Arbeiten wurden unter anderem auf dem Brecht-Festival, in der Kunsthalle Baden-Baden und im Museum für zeitgenössische Kunst in Roskilde und Vejle, Dänemark präsentiert. Gemeinsam mit Shole Pakravan schrieb sie das Buch "Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari", das am 26. Januar 2023 im Berlin Verlag erschien. SIEBEN WINTER IN TEHERAN ist ihr erster Dokumentarfilm und ihr Debüt als Regisseurin.
Mehr Infos unter: www.twitter.com/niederzoll
Zur Zeit der Veröffentlichung dieses Beitrags steht noch kein Kinostart für die Dokumentation fest.
Mehr Infos zur Premiere bei der Berlinale 2023 und dem Trailer unter: www.berlinale.de
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Quelle der Statements: Presseheft SIEBEN WINTER IN TEHERAN. Berlinale 2023